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22. Februar 2017
Mi
20:00

Karten € 15 und 10 erm.*
  MKO songbook
Jörg Widmann, Iannis Xenakis, Mark Andre, Julia Wolfe /
Münchener Kammerorchester / Dirigent Baldur Brönnimann

Der Schweizer Baldur Brönnimann, Chefdirigent in Porto und bei der Basel Sinfonietta, leitet die fünfte Ausgabe des songbooks.  Zu hören sind gleich drei MKO-Auftragswerke, die längst auch von anderen Ensembles gespielt werden. Aus dem Jahr 1995 stammt Iannis Xenakis’ „Voile”, ein Fünfminüter, dessen knirschende Aggressivität nichts von seiner Radikalität eingebüßt hat. Viel introvertierter gibt sich Mark Andres „kar”, 2010 uraufgeführt. Der Titel der religiös inspirierten, bewusst die Grenzen des Hörbaren auslotenden Partitur bezieht sich auf das mittelhochdeutsche Wort für Klage oder Trauer. „Cruel Sister” (2005) wiederum ist Programmmusik mit Mitteln des Minimalismus: Die Amerikanerin Julia Wolfe greift darin eine altenglische Ballade auf. Gegen Ende ist das schaurige Lied zu hören, das zwei Spielleute zur Hochzeit der grausamen Schwester musizieren – auf dem zur Harfe umfunktionierten Brustbein der ermordeten guten Schwester. Kaum weniger heftig geht es in Jörg Widmanns „Jagd-Quartett” zu – einem ‘grimmigen Scherzo’, wie der Komponist sagt –, wenn die  hohen Streicher den Cellisten zum Sündenbock stempeln und gemeinsam über ihn herfallen.
 

   
   
Programm
 

Iannis Xenakis (1922-2001)
Voile für 20 Streicher (1995)

Jörg Widmann (*1973)
Streichquartett Nr. 3 Jagdquartett (2003)

Yuki Kasai, Violine
Rüdiger Lotter, Violine
Xandi Van Dijk, Viola
Mikayel Hakhnazaryan, Violoncello

Mark Andre (*1964)
kar für Streichorchester (2008/09, rev. 2016)

PAUSE

Julia Wolfe (*1958)
Cruel Sister für Streichorchester (2004)

   
   
   
   

Baldur Brönnimann ist einer der führenden Dirigenten für zeitgenössische Musik. In Basel geboren wurde er an der Musikakademie der Stadt Basel und dem Royal Northern College of Music in Manchester ausgebildet. Mit seiner großen Offenheit ist Brönnimann im Opernhaus wie im Konzersaal viel gefragt. Zu den Höhepunkten seiner Karriere zählen die Zusammenarbeit mit La Fura dels Baus an György Ligetis Le Grand Macabre an der English National Opera und dem Teatro Colón in Buenos Aires, John Adams'
The Death of Klinghoffer an der English National Opera, Kaija Saariahos L'amour de loin an der Norske Opera und dem internationalen Festival in
Bergen sowie Fausto Romitellis An Index of Metals mit Barbara Hannigan am Theater an der Wien. Am Teatro Colón dirigierte er auch Arnold Schönbergs Erwartung, Karol Szymanowskis Hagith, Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern – mit dem Komponisten als Sprecher – und Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann. Brönnimann arbeitet eng mit Komponisten wie Harrison Britwistle, Unsuk Chin, Thomas Adès, John Adams und Kaija Saariaho zusammen und wird häufig für Ur- und Erstaufführungen angefragt, so dirigierte er jüngst an der Norske Opera die Uraufführung von Rolf Wallins Elysium. Bekannt für seine außergewöhnlichen Konzertprogramme gastiert der Schweizer Dirigent regelmäßig u.a. beim Oslo Philharmonic, dem Royal Stockholm Philharmonic, der Britten Sinfonia, dem Philharmonia Orchestra, dem BBC Symphony, dem Copenhagen Philharmonic und dem Seoul Philharmonic. Er wurde wiederholt von den führenden Ensembles für Neue Musik ein-
geladen, dem Ensemble interconterporain, dem Klangforum Wien und dem norwegischen BIT20, welches er bis 2015 leitete. Seit Januar 2015 ist Baldur Brönnimann Chefdirigent des Orquestra Sinfónica in Porto, ab der Spielzeit 2016/17 Principal Conductor der Basel Sinfonietta.

   
   


   
   

Iannis Xenakis
Voile

Mit einer „Scherbe von einem fremden Stern, die unheimlich im Herzen der westlichen Musik” glimme, hat man die Musik von Iannis Xenakis verglichen. Ihre elementare Kraft verdankt sich komplexen mathematischen Verfahren bei der Auswahl und Behandlung des musikalischen Materials. Der 1922 in Rumänien geborene Grieche, der im Zweiten Weltkrieg eine lebensgefährliche Verletzung erlitt und 1947 als kommunistischer Widerstandskämpfer aus Griechenland fliehen musste, wurde in Paris später ein enger Mitarbeiter des Architekten Le Corbusier. Nicht durch „Religion, Emotion, Tradition” sei "Universalismus” zu erlangen, sondern einzig durch die Naturwissenschaften, war Xenakis überzeugt: „Das wissenschaftliche Denken gibt mir ein Instrument an die Hand, mit dem ich meine Vorstellungen nicht-wissenschaftlichen Ursprungs verwirkliche.”

Voile, das gerade einmal fünf Minuten dauernde Stück, das Christoph Poppen und das MKO im November 1995 zur Uraufführung brachten, ist eine der letzten Arbeiten, die Xenakis vollenden konnte, bevor er die kompositorische Tätigkeit 1997 aus gesundheitlichen Gründen einstellen musste. Der an Debussy erinnernde Titel weckt impressionistische Vorstellungen von luftigen Sommertagen am Meer. Doch Xenakis, darauf weist er in der Partiturlegende hin, denkt nicht nur an das Segel eines Bootes, sondern ebenso an ein Tuch, das ein Objekt verdecken und sukzessive auch enthüllen kann. Die 20 Streicher spielen durchweg in Doppelgriffen, was nicht nur ein großes Angebot an simultan erklingenden Tonhöhen ermöglicht, sondern auch eine betont harsche, durchweg forcierte Tongebung mit sich bringt. Der knirschende, vierzig Töne umfassende fff-Klang des Beginns ist kein gleichmäßig gefüllter Cluster, seine Zusammensetzung ähnelt vielmehr einem Sieb, das eine große Fläche abdeckt und dabei gleichmäßige Zwischenräume frei lässt. Wie ein Prüfstein kehrt dieser markante Klang im weiteren Verlauf mehrfach wieder und löst kurze Episoden stark kontrastierenden Charakters aus. Neben Glissando-Passagen und abrupten Wechseln der Lagen bleibt vor allem ein wiederum in Doppelgriffen harmonisiertes Melodiefragment im Gedächtnis: Ein Moment lang ist zu ahnen, was sich hinter dem großen Stück Stoff, dem „Voile”, verbirgt.

   
   


   
   

Jörg Widmann
Jagdquartett

„Jedes meiner bisherigen Streichquartette verfolgt eine archetypische Satzform: das erste Quartett ist eine einzige Variation über die Thematik des Anfangens; das zweite ist ein einziger langsamer Satz. Das dritte nun wäre wohl traditionell ein grimmiges Scherzo. Es ist eine Entwicklung von einem (Schumanns Papillons entliehenen) ‚gesunden’ punktierten Jagdthema hin zur Aufsplitterung und schließlich Skelettierung des anfänglich positivistischen Jagdgestus. Gleichzeitig ändert sich die Situation der vier Spieler: aus den auftrumpfenden Jägern werden sukzessive Gejagte, Getriebene. Dass sich in einem weiteren (tödlichen) Perspektivwechsel die drei ‚hohen’ Streicher gegen das Cello verschwören und ihm die Schuld zuweisen, ist eine Analogie zu gesellschaftlichen Verhaltensmustern. Der durchweg spielerisch-überdrehte Tonfall kaschiert nur mühsam den Ernst, der jäh in dieses Stück geraten ist. Das Jagdquartett ist dem Arditti-Quartett gewidmet.” Soweit Jörg Widmanns eigene Aussagen über sein drittes Streichquartett, das zentrale Glied seines insgesamt fünf Teile umfassenden Zyklus’. Der Komponist gibt ein extrem schnelles Grundtempo vor (punktierte Viertel = 132). Damit ist der Puls des zitierten Finales von Schumanns Papillons um etwa das dreifache beschleunigt. Das dort im gemütlichen Dreivierteltakt erscheinende Thema in Hornquinten ist seinerseits bereits ein Zitat: Es bezieht sich auf eine Reihe deutscher Volkslieder. Eines davon wurde 1802 im Berliner Musenalmanach gedruckt und war im frühen 19. Jahrhundert noch allgemein bekannt. Der Text hat keinerlei Jagd-Implikationen, sondern weist auf eine silberne oder goldene Hochzeit hin: „Und als der Großvater die Großmutter nahm, da war der Großvater Bräutigam.” Bis heute vertraut ist der Kopf der Melodie aus dem in der frühen Romantik aufkommenden Lied „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach”. Auch dieses hat ein älteres musikalisches Vorbild, das Volkslied „Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus”, das von 1770 an verbreitet war. Mit dem punktierten 6/8-Rhythmus und der Grundtonart A-Dur stellt Widmann darüber hinaus eine Verbindung zu Beethoven her – genauer zum Vivace des ersten Satzes aus dessen 7. Sinfonie, die Wagner bekanntlich als „Apotheose des Tanzes” bezeichnete.

   
   


   
   

Mark Andre
kar

Wie weit kann sich Musik dem Unhörbaren annähern, ohne vom unvermeidlichen Knistern und Rascheln des Publikums im Saal, auch des diszipliniertesten, übertönt zu werden? Wie immateriell kann sie tönen, ohne ihre eigene physische Realität zu gefährden? Mark Andres kar, das Streicherstück, das im Januar 2010 unter Alexander Liebreichs Leitung beim MKO uraufgeführt wurde, treibt solche Erkundungen noch weiter als die Partituren Helmut Lachenmanns, der, neben Gérard Grisey, der wichtigste Lehrmeister des 1964 in Paris geborenen Elsässers war. Die Musik, deren Geräusche ständig auf dem Grat zum eigenen Verschwinden wandeln, schien zunächst kaum aufführbar, geschweige denn für den Hörfunk geeignet: Bei der Übertragung einer Darbietung mit dem Mozarteumorchester Salzburg entschlossen sich die Radioredakteure zu einer radikalen Kürzung, da größere Partien am Lautsprecher nicht hörbar waren. Inzwischen hat Andre sein Stück überarbeitet, er hat Dynamikwerte und Tempoangaben korrigiert und für eine insgesamt straffere, stabilere Textur gesorgt. Noch immer umfasst die Legende zur technischen Ausführung der auf allen erdenklichen Teilen der Streichinstrumente hervorgebrachten Klick-, Klack-, Rausch- und Pfeiflaute drei volle Seiten. Das Maß des Bogendrucks ist mittels einer elfstufigen Skala angeben, der Druck der die Saite berührenden Finger kennt fünf verschiedene Stärken. Statt den zu erwartenden akustischen Eindruck vorzugeben, verwendet Andre überwiegend eine Aktionsnotation als Anweisung zu seiner Hervorbringung. Ähnlich wie Xenakis betreibt auch er viel Aufwand bei der Erzeugung kohärenter Systeme von Klängen, Timbres und Tonhöhen. Deren Ordnungen begründen für ihn indessen keinen naturwissenschaftlichen Universalismus, sondern einen religiösen im Sinne des christlichen Erlösers. „…. Hilfe, Jesus …” steht unter der Partitur zu kar: Die schutzlose, im wahrsten Sinne des Wortes verletzliche Musik des bekennenden Protestanten stellt implizit immer auch die Frage, wie es sich anhörte, „wenn man die Bergpredigt ernst nähme”, hat der heute in Berlin lebende Komponist einmal gesagt. So spielt kar auf das mittelhochdeutsche Wort für Klage und Trauer an – und zugleich auf Karfreitag und den Tod Christi am Kreuz.

   
   


   
   

Julia Wolfe
Cruel Sister

Julia Wolfe, 1958 in Philadelphia geboren, gründete 1987 zusammen mit ihrem Ehemann Michael Gordon und David Lang in New York das Musikerkollektiv Bang on the Can, das wohl wichtigste Forum für zeitgenössische Musik der USA. Seit langem nehme ihre Musik einen ganz eigenen Platz ein, hat das Wall Street Journal über Wolfe bemerkt ­– „einen Platz, an dem klassische Formen mit den repetitiven Mustern des Minimalismus und der treibenden Energie des Rock neu aufgeladen werden”. Inzwischen befindet sich Wolfe auf dem Gipfel ihres Ruhms: Für Anthracite Fields wurde sie 2015 mit dem Pulitzerpreis für Musik ausgezeichnet. Das Oratorium über das Leben der Bergleute in den Kohleminen Pennsylvanias beruht auf monatelangen Recherchen und unzähligen Interviews mit den Nachkommen der Arbeiter. Eines von Wolfes bekanntesten Werken ist noch immer Cruel Sister, das 2004 im Auftrag des Münchener Kammerorchesters und der musica femina e.V. entstand. Die Komponistin schreibt über ihr Stück: „Der Titel Cruel Sister stammt von einer dunklen und fantastischen alten englischen Ballade gleichen Namens. Noch zu Collegezeiten hörte ich eine wunderschöne und gruselige Wiedergabe des Liedes auf einem Album der britischen Folk-Rock-Band Pentangle. Obwohl es bei mir keine musikalischen Anspielungen auf die originale Melodie gibt, provozierte die Geschichte der Ballade eine Antwort: Es geht um zwei Schwestern – die eine hell wie die Sonne, die andere kalt und dunkel. Um die Liebe des jungen Mannes zu erringen, der um die helle Schwester wirbt, stößt die dunkle ihre Rivalin über den Abgrund ins Meer. Zwei Spielmänner finden den ans Ufer gespülten Leichnam des toten Mädchens und stellen aus ihrem Brustbein eine feingliedrige Harfe her. Auf dieser spielen sie an der Hochzeit der Schwester. Als die Musik der Harfe das Ohr der Braut erreicht, schließt das Lied mit den Worten: ‚Jetzt werden gewiss ihre Tränen fließen’. Die Ballade ist unglaublich bewegend und stark. Ich war fasziniert und erschrocken von der überwältigenden Gier und Eifersucht des Märchens. Meine Cruel Sister ist eine Suche, dieses menschliche Dilemma aufzulösen. In gewisser Weise ist das Stück die Musik ‚der Harfe’ – ein Appell an eine höhere Liebe.”

   
   


   
   

Münchener Kammerorchester

Violine I Yuki Kasai – Konzertmeisterin
Romuald Kozik, Kosuke Yoshikawa, Max Peter Meis ,
Hélène Maréchaux, Mario Korunic

Violine II Rüdiger Lotter – Stimmführer
Tae Koseki, Andrea Schumacher, Bernhard Jestl,
Eli Nakagawa, Lorenz Blaumer

Viola Xandi van Dijk – Stimmführer
Stefan Berg-Dalprá, Nancy Sullivan, David Schreiber

Violoncello Mikayel Hakhnazaryan – Stimmführer
Peter Bachmann, Michael Weiss, Benedikt Jira

Kontrabass Tatjana Erler – Stimmführerin
Dominik Luderschmid

   
   


   
    Mit MKO songbook verfolgt das Münchener Kammerorchester drei programmatische Ansätze: Zum einen sollen aus München stammende und hier tätige Komponisten in der „Werkraum”-Atmosphäre und der unmittelbarer Raumresonanz des „Schwere Reiter” in neuen Kontexten zu erleben sein. Darüber hinaus laden die Konzerte zur Wiederbegegnung mit exemplarischen Werken des modernen Streichorchesterrepertoires ein. Und schließlich möchte das MKO Kompositionen präsentieren, die eigens für es geschrieben wurden und teilweise längst das Repertoire auch anderer Orchester bereichern. Der heutige Abend ist der vierte in der 2015 begründeten Reihe. Das nächste songbook – es findet am 30. Mai 2017 statt – wird, wie schon songbook 3, eine veritable Uraufführung bringen, Aufbruch zu neuen Ufern also auch in diesem für Schwere Reiter MUSIK entwickelten Format.    
   


   
   

www.m-k-o.de

   
   


   
    ein Projekt des Münchener Kammerorchesters und Schwere Reiter MUSIK, gefördert durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und den Bezirk Oberbayern

   
   


   
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update 28.01.2017